Exkurs:
Religion als Etikett

Etikett

In meinem Exkurs zum Religionsbegriff behauptete ich, Religion diene heute der Etikettierung von Weltanschauungen. Das möchte ich gern weiter ausführen.

Religion diente zu Zeiten ihrer Erfindung der Erklärung des Unerklärlichen. Das hat sich gewandelt: Naturwissenschaften lüften nach und nach die Geheimnisse der Welt. So mindern sie stetig die Notwendigkeit, sich in kruden Fantasien zu verirren, mindern also die Notwendigkeit von Religion. Religiöse wollen diese Lückenbüßerfunktion der Religion, also deren Bedeutungsverlust mit zunehmender faktenorientierter Forschung nicht wahrhaben. Das Leugnen ändert nichts an der Tatsache.

Neben Erklärung haben religiöse Aussagen eine weitere Funktion, die mit fortschreitenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen viel wichtiger wird. Sie dienen als Etikett für Weltanschauungen und zeichnet diese damit als unantastbar, als heilig aus. So ein Etikett ist ungemein praktisch. Es dient hier keineswegs der Information über den Inhalt, sondern eher der Werbung, der mehr oder weniger geschickten Irreführung. Insofern ähnelt es sehr den Etiketten im Supermarkt.

In mancher Hinsicht schlagen religiöse Etiketten die kommerziellen aber um Längen. Die Unantastbarkeit nannte ich schon. Ein weiterer enormer Vorteil ist die Dehnbarkeit. Es ist nicht zu fassen, was alles mit christlich, muslimisch oder sonst wie -isch etikettiert wird. Man kann diese Etiketten auch auf-, über-, unter- und nebeneinander kleben. Das nennt sich dann zum Beispiel Weltethos à la Hans Küng. (Zu Küng siehe auch meine Gedanken zum Islam.)

Diese groteske Flexibilität bedingt, dass diametral entgegengesetzte Weltanschauungen ohne Probleme mit dem gleichen Etikett, etwa Islam, versehen werden können. Diese Beliebigkeit ist möglich, weil die Aussage des Etiketts ohnehin irreale Fantastereien beschreibt.

Mit dem in unserer Kultur fortschreitenden Zerfall der Religionen (Aufklärung sei Dank!) wird immer deutlicher, dass sie nichts anderes als lediglich Etiketten sind. Irgendeine Ideologie, und sei sie noch so hirnrissig, wird als Religion etikettiert. Die einzig wahre Religion, versteht sich! – Und Hokuspokus! schon ist der absurdeste Schwachsinn heilig.

Gutmeinende selbsternannte Islamversteher behaupten immer wieder, die Mörderbanden des Islamischen Staats etikettierten sich zu Unrecht mit Islam. Das stünde nur friedliebenden Muslims zu, nur diese verkörperten den wahren Islam, wie er im Koran offenbart sei. Ich halte das für Unsinn:

Erstens kann der Koran nicht wahr sein, da (wie freilich die Bibel auch) voller innerer Widersprüche. Vergleiche hierzu meinen Exkurs zur Abrogation. Auch äußere Widersprüche, also Inkompatibilität mit offensichtlichen Fakten bieten beide Märchenbücher reichlich.

Zweitens ist alles, was mit dem Etikett Islam versehen wird, im gleichen Maße wahrer Islam. Der Koran ist lediglich eine der beliebigen Beschriftungen dieses Etiketts. Überraschend viele, die sich mit dem Islam-Etikett versehen, haben übrigens keine besonderen Koran-Kenntnisse.

Es ist müßig, untersuchen zu wollen, welches Etikett die wahre Religion kennzeichnet: Religion ist ohnehin unwahr und insofern ohne weiteren Realitätsverlust beliebig verformbar und etikettierbar.

Diese Internet-Präsenz ruft dazu auf, das Sakrileg zu begehen, hinter diese Etiketten zu sehen, sich um deren Aura der Heiligkeit nicht zu scheren. Diese Aura ist Anlass für äußerste Skepsis.