Exkurs:
Transzendenz

Wikipedia definiert: Transzendenz (von lateinisch transcendentia das Übersteigen) beschreibt den Bezug auf einen Gegenstandsbereich, der jenseits möglicher Erfahrung bzw. vorfindbarer Wirklichkeit liegt. – Im Gegensatz zur Immanenz.

Flammarions Holzstich, auch Wanderer am Weltenrand

Jenseits möglicher Erfahrung ist konsequenterweise auch auf eine wahrnehmbare Wirkung dieses Gegenstandsbereiches auf den Menschen zu beziehen. Was nicht wahrnehmbar ist und somit keine feststellbare Wirkung auf uns hat, können wir getrost als irrelevant ignorieren.

Sicherlich: ein solcher Gegenstandsbereich mag existieren. Ein zugehöriger Gegenstand wäre zum Beispiel Russels Teekanne. Sie wäre jenseits möglicher Erfahrung. Da ihr, wie jeder Teekanne, eine gewisse Masse zu unterstellen ist, übt sie eine Gravitationskraft auf uns aus. Diese Kraft ist, wie auch die Kanne selbst, für uns völlig irrelevant. Jede Spekulation darüber kann man nur als hirnrissigen Unsinn betrachten (es sei denn, es handelt sich um ein Gedankenexperiment zur Entlarvung bestimmter Denkfehler).

Gottes Transzendenz

Religiöse pflegen, auf Ungereimtheiten ihrer Weltanschauung verwiesen, ihren Gott und alles, was dazu imaginiert wird (Seele, Himmel, Engel, Teufel …), als transzendent zu erklären.

Ich habe den Eindruck, dass dieses Phänomen zunehmend zu beobachten ist. Früher erschienen die Götter als durchaus immanent. In Blitz, Donner und sonstigen Naturphänomenen, in allem, was nicht erklärbar war, manifestierte sich vermeintlich göttliches Wirken. Im Christentum wurde Gott in Form seiner Fleischwerdung, seiner Inkarnation als Jesus Christus, in besonderem Maße wahrhaftig.

Mohammeds Himmelfahrt (Miʿrādsch)

Es sei angemerkt, dass der Islam in dessen Ober-Propheten Mohammed ebenfalls ein direktes Wirken ihres Gottes phantasiert. Der immerhin stand in regem, durchaus praktischem Austausch mit Allah. Ähnlich wie der christliche Junior-Chef konnte auch der Wunder wirken, etwa zum Himmel fahren (Al-Miʿrādsch).

Zu Wundern allerdings lassen sich Götter, seien sie christlich, islamisch oder sonst wie phantasiert, nicht mehr herab. Während früher sogar harmlose Ungezogenheiten von Kindern unfassbar grausam geahndet wurden, waren in der Neuzeit diesen Herrschaften die entsetzlichen Grauen in Konzentrationslagen völlig egal, jedenfalls selbst der kleinsten Intervention nicht wert.

Diese zunächst unbegreifliche Untätigkeit hat einen klaren Grund: Die Menschen sind nicht mehr naiv genug, derartigen Unfug zu glauben. Naturereignisse werden heutzutage nahezu ausschließlich angemessen, also naturwissenschaftlich, erklärt. Die altgedienten Märchen wurden mehr und mehr widerlegt.

Das bedeutet, um zum Thema zurückzukehren, dass die wunderbedingte, also phantasierte Immanenz zugunsten einer ebenso phantasierten Transzendenz verlassen wird. Der vermeintliche Vorteil dieser Verschiebung ist, dass das Transzendente unbehelligt von naturwissenschaftlichem und sonstigem kritischen Denken bleibt. Tatsächlich ist die Flucht in die Transzendenz eine Verzweiflungstat angesichts der offensichtlichen Unterlegenheit der Religion.