Liebe und Leistung

Unlängst unterhielt ich mich mit einem befreundeten Pastor über Martin Luther. Er betonte, dass Luther den Leistungsgedanken in der Religion verworfen habe. Dieser lehrte, dass Gottes Liebe umsonst sei. Der Pastor führte weiter aus, dass auch die Liebe zwischen Menschen nicht von dem Gedanken do ut des (1) bestimmt sein, sondern selbstlos sein sollte. Er sprach sich nachdrücklich gegen die Maximen unserer Leistungsgesellschaft in Hinsicht auf die Liebe Gottes zu den Menschen und der Menschen untereinander aus.

Ich erwiderte ihm, dass ich weit weniger Probleme mit dem Begriff der Leistung habe, als er diese skizzierte. Ich bin auch nicht der Meinung, dass unsere jetzige Gesellschaft ausschließlich leistungsorientiert ist. (2) Bisweilen will mir scheinen, dass im Gegenteil der Begriff Leistung einen ausgesprochen negativen Klang hat, wie auch zum Beispiel Disziplin, Gehorsam oder Prinzipientreue. Die Klage über die Leistungsgesellschaft ist in nicht wenigen Kreisen derartig en vogue, dass diejenigen, die in dieses allgemeine Wehklagen nicht einstimmen, als reaktionär oder gar faschistisch (3) diffamiert werden. Das gilt ebenso für die anderen eben genannten Begriffe.

Mich ficht dieser Zeitgeist nicht an. Für mich ist der BegriffLeistung ein primär positiver. Geradezu begeistern kann ich mich für das WortDienstleistung. Es mag nicht schön sein, da es einer deutschen Vorliebe entsprechend zusammengesetzt ist, aber diese beiden Worte: Dienst und Leistung gehören zusammen, wie hoffentlich in diesem Text noch deutlicher werden wird.

Soviel zu meinem Verhältnis zum Begriff der Leistung. Aus der Tatsache, dass ich ihn positiv besetze, ist nicht ohne weiteres zu folgern, dass ich der Grundaussage des Pastors widersprechen will. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass Liebe selbstlos sein soll. Mehr noch: Eigensüchtiges Verhalten hat nichts mit Liebe zu tun, schließt sie sogar aus. Diese Tatsache wird, so einleuchtend sie in der Theorie ist, in der Praxis allzu häufig übersehen. Immer wieder ist zu beobachten, dass aus Liebe unbedingte Besitzansprüche gestellt werden, diese Verirrung scheint mir eher eine Regel denn eine Ausnahme zu sein. Das allerdings ist nicht Merkmal unserer Zeit. Auch der Buddha grenzte metta, die nicht anhaftende Liebe entsprechend ab. Hierzu erlaube ich mir einen Exkurs zum Thema Liebe aus buddhistischer Sicht.

Metta;, die selbstlose, nicht anhaftende Liebe, gehört zu den Göttlichen Weilungen, den brahma-vihara. Weiter dazugehören Erbarmen oder Mitleid mit den Leidenden (=karuna), Mitfreude über die Errettung anderer vom Leid (=mudita) und schließlich Gleichmut Freund und Feind gegenüber (=upekkha). Alle diese Tugenden sind beständig zu üben und zwar ohne Begrenzungen in alle sechs Richtungen (4). Das bedeutet, dass etwa in der Liebe kein Unterschied gemacht werden soll zischen nah und fern, Freund und Feind, was freilich Egozentrik und vordergründigen Eigennutz ganz bewusst ausschließt.

Alle diese Weilungen nun sind achtsam zu pflegen und zu erhalten, da sie wie unser ganzes Dasein von Verblendungen beschattet werden. Diese Anfechtungen lassen sich differenzieren in Nah- und Fernfeinde. Der Fernfeind der Liebe ist deren offensichtliches Gegenteil, der Hass. Der Nahfeind ist problematischer zu identifizieren. Er wurde oben bereits erwähnt: Es handelt sich um das Besitzergreifen von einem Menschen, um die Liebe unter Bedingungen, um das Einfordern von Leistungen, die zur Voraussetzung für Zuneigung gemacht werden, in letzter Konsequenz vergleichbar der Prostitution. Nah-Feind deswegen, weil dieses egoistische Anhaften oft mit Liebe verwechselt wird, ein Umstand, der ihn besonders gefährlich macht.

Bei klarer Betrachtung wird aber offensichtlich, dass dieses viel weniger mit Liebe als mit deren Gegenteil zu tun hat. So ist nicht verwunderlich, dass bei Ausbleiben der Voraussetzungen für diese verblendete Liebe diese ihr anderes Gesicht, den des Fernfeindes;, des Hasses zeigt. Ohne tiefere Einsicht ist dieses vehemente Umschlagen von vermeintlicher Liebe in Hass oft verblüffend und unverständlich. Tatsächlich aber handelt es sich um zwei Erscheinungsformen ganz ähnlich gelagerter Verblendungen: Der Keim des Hasses ist im egoistischen Besitzergreifen, in der Liebe unter Voraussetzungen schon angelegt.

Ganz anders metta, die nicht anhaftende Liebe (5). Sie gründet nicht auf äußeren Voraussetzungen und kann damit nicht durch Wegfall dieser geschmälert werden. Diese Liebe klammert auch nicht. Wie sollte sie auch, wenn sie sich – im Idealfall – in alle Richtungen ausbreitet.

Auch die anderen Tugenden haben ihre Nah- und Fernfeinde, wie bei näherer Betrachtung offenbar wird. Sie seien hier nur summarisch aufgezählt:

Karuna

= das Erbarmen oder Mitleid, hat die Grausamkeit zum fernen Feind. Der problematische Nahfeind dagegen ist die lähmende Wehleidigkeit.

Mudita

= die Freude mit den anderen, ist offensichtlich das Gegenteil zum Neid. Verwechselt wird sie oft mit einem besinnungslosen, flachen und flüchtigen Glücksgefühl.

Upekkha,

= der Gleichmut schließlich, ist der Aufgeregtheit entgegengesetzt, aber auch der ignoranten Indifferenz.

Soviel zur buddhistischen Scholastik. Auch diese Überlegungen geben meinem Freund, dem Pastor, Recht. Es ist meines Erachtens gleichwohl ein Irrtum zu meinen, wahre Liebe und Leistung seien Gegensätze und schlössen sich aus. Liebe muss entwickelt werden. Sie bedarf der Pflege, der Behutsamkeit, der angemessenen Gewichtung der Bedürfnisse der Partner, kurz: der Achtsamkeit, damit sie nicht in den Nah- oder Fernfeind umschlägt.

Das alles ist nicht einfach, wie die beklemmenden Scheidungsstatistiken belegen. Liebe hängt also doch von der Voraussetzung der ständigen Arbeit ab. Zum Nulltarif ist Liebe also nicht zu haben. Es ist ein Irrtum anzunehmen, man müsse für Liebe nichts tun. Diese Leistung ist aber nicht nach außen zu erbringen, sondern eine geistige. Wer liebt, muss permanent an sich arbeiten, muss Verblendungen wie Besitznahme, Eifersucht, Prestigedenken, Bilanzieren und so fort erkennen und durch Einsicht überwinden. All das wird häufig nicht gesehen, weder in mehr oder weniger lang anhaltenden Beziehungen noch gar in der ersten Verliebtheit. Letztere ist zwar nach hiesigem Verständnis (6) eine Voraussetzung aus der dann Liebe wachsen kann, sollte aber mit metta nicht verwechselt werden, da nicht einsicht- sondern eher hormongesteuert.

Die Arbeit an sich selbst zur Pflege der Liebe ist nicht zwangsläufig schwierig: Verhalten sich beide Partner einsichtig, so ist das Handeln zwanglos richtig, dem Erhalt und der Entwicklung der Liebe zuträglich.

Fußnoten:

1 Die lateinische Formel do ut des (Ich gebe, damit Du gibst.) dient in der Rechtswissenschaft der Kennzeichnung der Wechselbeziehung zwischen Leistung und Gegenleistung.
2 Es wäre interessant zu untersuchen, inwieweit die populäre Ablehnung der Leistungsgesellschaft auf Luther zurückzuführen ist.
3 Mit der Vokabel faschistisch wird in der Tat mit besonderer Vorliebe Schindluder getrieben. Die derart Wortgewaltigen übersehen dabei regelmäßig, dass sie das Phänomen Faschismus durch den inflationären Gebrauch des Begriffes verharmlosen.
4 Die vier Himmelsrichtungen und nach oben und unten.
5 Metta wird oft mit der Mutterliebe verglichen, da diese ebenfalls frei von Voraussetzungen sei. Bei näherer Betrachtung allerdings ist die Liebe vieler Mütter leider weit vom Ideal der nicht-anhaftenden Liebe entfernt. Das wird regelmäßig dann offensichtlich, wenn das Kind sich vom Rockzipfel lösen will. Bei dieser Gelegenheit spielen sich nur allzu oft Tragödien ab, die entweder das Kind in der Entwicklung stark behindern oder aber jene vermeintlich unbedingte Mutterliebe wieder einmal in nackten Hass umschlagen lassen.
6 In vielen Kulturen suchen die Eltern die Partner für ihre Kinder aus. Wie ich einmal glaubhaft gehört habe, werden diese Ehen nicht häufiger geschieden als hiesige.
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